Dr. Marie Weinhart: Surf3DTiss

Bei der Entwicklung neuer Materialien und Wirkstoffe wird bei der Sicherheitsbeurteilung oftmals auf die Ergebnisse aus Tierversuchen zurückgegriffen. Im Projekt Surf3DTiss werden hingegen 3D-Gewebemodelle entwickelt, die als Ersatz für Tierversuche bei der Giftigkeitsprüfung neuer Materialien genutzt werden sollen.

Die künstliche Gewebezüchtung im Labor hat innerhalb der letzten 20 Jahre beachtliche Fortschritte erzielt. Allerdings ist die Herstellung von funktionsfähigen Blutgefäßen in dreidimensionalem Gewebe eine bislang noch ungelöste Herausforderung. Blutgefäße sind wichtig, da sie das umliegende Gewebe mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen und gleichzeitig die Abfallprodukte der Zellen aus dem Gewebe abtransportieren. Künstliches Gewebe ohne Blutgefäße kann derzeit nur mit sehr geringer Dicke (1/4 mm) hergestellt werden, da es sonst zur Unterversorgung und damit zum Absterben der Zellen im Gewebe kommen würde.

Bei der konventionellen 3D-Gewebezüchtung werden verschiedene menschliche oder tierische Zellen auf einem dreidimensionalen künstlichen Gerüst „ausgesät“. Die Zellen haften zunächst auf dem Gerüst an, wo sie sich durch Zellteilung vermehren und sich anschließend zu einen Gewebe organisieren. Das Gerüst wirkt dabei formgebend und verleiht dem Gewebe gleichzeitig Stabilität.

Ein neuartiger Ansatz, das sogenannte „Cell Sheet Engineering“, wurde in Japan entwickelt und arbeitet ohne künstliche Gerüstmaterialien. Dies wird ermöglicht, indem das natürliche Gerüst der Zellen im Gewebe, die extrazelluläre Matrix - kurz ECM –, durch ein spezielles "Ernteverfahren" erhalten wird. Die ECM wird von den Zellen selbst produziert, sobald sie auf einem Untergrund, z.B. der Petrischale, anhaften. Mittels besonderer Petrischalen, die mit einem temperatur-sensitiven Polymer beschichtet sind, lassen sich dann zusammenhängende Zellschichten mitsamt ihrer ECM „ernten“. Das Polymer auf der Petrischalenoberfläche erlaubt Zellen unter Standard-Kultivierungsbedingungen von 37°C auf der Oberfläche anzuhaften, sich zu vermehren und dabei ECM zu produzieren. Durch eine kurzzeitige Temperaturabsenkung unter 37°C verändert das Polymer auf der Petrischale seine Eigenschaften und wirkt nun zellabweisend. Dadurch wird die Zellschicht mitsamt der produzierten ECM von der Oberfläche abgestoßen und kann für weitere Anwendungen verwendet werden.

Hier setzt das „NanoMatFutur“-Projekt Surf3DTiss von Frau Dr. Marie Weinhart an. Surf3DTiss oder in der Langfassung „Von thermoresponsiven Oberflächen zu dreidimensionalem Gewebe in vitro – eine neue Tierversuchsalternative“ hat das Ziel, mit Hilfe neuartiger Temperatur-schaltbarer Petrischalen dreidimensionales Gewebe mit Blutgefäßen aus Zellschichten zu entwickeln. Dieses 3D-Gewebe soll anschließend auf seine Eignung und Aussagekraft für die obligatorische Sicherheitsbeurteilung neuer Materialien im Vergleich zum konventionellen Tierversuch evaluiert werden.

Der Aufbau des 3D-Gewebes wird über Stapeln und Rollen von Zelllagen mit Hilfe eines ebenfalls im Projekt entwickelten sogenannten „Bioklebstoffs“ erfolgen. Vor allem durch das Aufrollen von Zelllagen sind Blutgefäß-ähnliche Strukturen zugänglich, die - zwischen die Zellschichten eingebaut - das entstehende 3D-Gewebe mit Nährstoffen versorgen können. Auf diese Weise sind auch Gewebemodelle aus menschlichen Zellen zugänglich, die eine höhere Aussagekraft und Übertragbarkeit der Ergebnisse vor allem bei der organspezifischen Giftigkeitsprüfung versprechen als die entsprechenden Versuche an Tieren. Vor allem, da dank der eingebauten Blutgefäße dicke 3D-Gewebemodelle zugänglich werden, die gegenüber dünnen 2D Modellen deutliche Vorteile aufweisen.

Surf3DTiss-Gewebe wird aus Zellmonolagen mit Hilfe von 3D-Bioreaktoren hergestellt und anschließend auf seine Eignung als Ersatz für bestimmte Tierversuche getestet.

Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Marie Weinhart

Frau Dr. Marie Weinhart studierte Chemie an der Humboldt Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin. Nach dem Diplom promovierte sie erfolgreich an der Freien Universität Berlin auf dem Thema polymere Oberflächenbeschichtungen und funktionale Grenzflächen. Im Anschluss wechselte sie 2011 an die University of British Columbia, Vancouver, Kanada, wo sie am Zentrum für Blutforschung Wechselwirkungen von Materialien mit Blutzellen und Proteinen untersuchte. Seit 2014 forscht sie an der Freien Universität Berlin auf dem Gebiet der thermoresponsiven Oberflächenbeschichtung und deren Anwendung in der Zell-und 3D-Gewebekultur. Seit Februar 2015 leitet sie an der Freien Universität Berlin die „NanoMatFutur“-Nachwuchsgruppe Surf3DTiss.