Neuer Werkstoff für Sicherheitsanwendungen

In einer CNC-Fräsmaschine löst sich unerwünscht das Werkstück und schlägt mit voller Wucht gegen das Sichtfenster. Dieses ist üblicherweise aus Polycarbonat, das wegen seiner hohen Schlagzähigkeit die enorme Stoßenergie abfangen kann. Doch was passiert wenn der Kunststoff bereits gealtert ist und somit seine ursprüngliche Rückhaltefähigkeit verloren hat?

Polycarbonat versprödet bei längerem Kontakt mit Chemikalien, eben auch mit Reinigungsmitteln oder Kühlschmierstoffen. Das kann verheerende Folgen haben, auch wenn die Scheibe noch völlig intakt aussieht. Eine Polycarbonat-Schutzscheibe sollte daher vor chemischem und mechanischem Angriff geschützt sein. Besonders eignet sich dazu Glas, das eine hohe Kratzfestigkeit und Chemikalienbeständigkeit aufweist.

Ein Verbund aus Glas und Polycarbonat vereint in idealer Weise die sich ergänzenden Eigenschaften beider Werkstoffe. Das Projekt NeuGlas hat zum Ziel, diesen neuen Werkstoffverbund zu verwirklichen. Ein Konsortium aus drei KMU und einer Forschungseinrichtung entwickelt daher im Projekt einen neuen klebtechnischen Fertigungsprozess, inklusive Vorbehandlung, Klebstoffsystem und Applikationsverfahren. Schwierigkeiten bereiten insbesondere zwei Punkte: zum einen erzeugen einige Lösemittel im Polycarbonat Spannungsrisse, somit ist die Palette der zu verwendenden Verbundwerkstoffsysteme stark eingeschränkt. Zum anderen besitzen Glas und Polycarbonat sehr unterschiedliche Wärmeausdehnungskoeffizienten. Schon bei relativ kleinen Temperaturerhöhungen dehnt sich der Kunststoff bereits merklich aus, während Glas noch seine Formstabilität behält. Bei herkömmlichen Verklebungen verbiegt sich daher der Verbund bis hin zum Glasbruch bzw. Glasablösung. Dem neuen Klebstoff fällt nun die schwierige Aufgabe zu, dies zu vermeiden, indem er die unterschiedlichen Dimensionsänderungen kompensiert. Eine weitere Herausforderung ist die Auftragstechnik, die es ermöglichen soll, auch große Flächen blasenfrei zu verkleben.

Die Entwicklung des Klebstoffsystems zielt im ersten Schritt auf eine Erhöhung der Adhäsion ab, die das Ablösen des Klebstoffes an den jeweiligen Grenzflächen verhindert und gleichzeitig die Bruchkraft erhöht. Untersucht wird dies in Haftungsversuchen und Zug-Scher-Prüfungen. Die Projektgruppe arbeitet seit Mitte 2017 an dem neuen Klebesystem für den Werkstoffverbund. In dieser Zeit ist es gelungen, die Haftung an beide Werkstoffe wesentlich zu verbessern: Der Werkstoffverbund reißt nicht mehr an der Grenzfläche, sondern zuerst in sich. Auch die Bruchkraft konnte wesentlich gesteigert werden. Damit treten bei dem neuen Fügeverfahren überwiegend Kohäsionsbrüche bei doppelt so hohen Zugkräften auf. Interessant ist auch das Ergebnis des Kugelfalltest, denn hier zeigt sich ein nahezu identisches Bruchbild wie bei Verbund-Sicherheitsglas (VSG-Glas). Damit erweitern sich die Anwendungsgebiete wesentlich.

Der neue Verbundwerkstoff lässt sich überall da einsetzen, wo hohe Transparenz vorausgesetzt wird, extreme Kräfte auftreten und ein niedriges Eigengewicht erforderlich ist. Auf Grund seiner durchschuss- und durchschlaghemmenden Eigenschaften kann er in Zukunft in den unterschiedlichsten Bereichen unseres Lebens eine Rolle spielen. Allen voran wird er sich im Maschinenbau und Personenschutz wiederfinden. Denkbar ist, auf Grund seines geringen Gewichtes, aber auch ein Einsatz im Schiffsbau oder der Luft- und Raumfahrt.